Die Perspektiven, aus denen die osteuropäischen Gesellschaften der Nach kriegszeit beobachtet wurden, haben sich seit den späten 80er Jahren beträcht lich verschoben. Die empirische Beschäftigung mit dem osteuropäischen So zialismus war in der Bundesrepublik lange Zeit einer in regionalwissenschaft liche Institute ausgelagerten Osteuropaforschung überlassen, die allenfalls sporadisch mit den sozialwissenschaftlichen Disziplinen kommunizierte. Ge schäftsgrundlage war ein mehr oder weniger ergiebiger Deskriptivismus. Ein von den Polarisierungen des Ost -West-Gegensatzes geprägtes Totalitaris muskonzept fungierte als Theorieersatz und reichte allemal für politische Stellungnahmen. Soziologisch informierte Ansätze blieben die Ausnahme. Auf der anderen Seite führten die osteuropäischen Gesellschaften in den sozi alwissenschaftlichen Theorien bis vor wenigen Jahren ein Schattendasein. Zwar hatten die komparative Politikwissenschaft und Wirtschaftstheorie und auch Soziologen wie Reinhard Bendix, Shmuel Eisenstadt, Alex Inkeles, Gerhard Lenski und Barrington Moore bereits seit den 50er Jahren differen zierte Einsichten in die 'geschlossenen Gesellschaften' des so\\jetischen Machtbereichs eröffnet. Die allgemeine soziologische Theorie war bis in die 80er Jahre hinein jedoch zu sehr auf die 'Legitimationsprobleme des Spätka pitalismus', die Krise des Wohlfahrtsstaats und die postindustrielle Transfor mation der westlichen Gesellschaften eingestellt, um die finale Krise des so \\jetischen Sozialismus erahnen zu können. Mit Recht wurde der Zusammen bruch der So\\jetunion daher gegen Theorien der sozialen Evolution ausge legt, die den Staatssozialismus auf gleicher Höhe mit dem demokratischen Kapitalismus oder gar als postkapitalistische Gesellschaft eingeordnet hatten.