In dieser Einführung soll der offene Raum vergegenwärtigt werden, in dem die psychopathologische Erkenntnis sich bewegt. Es wird hier nicht der feste Grund gelegt, auf dem das Gebäude zu errichten wäre; denn der jeweils eigentumliehe Grund wird in jedem Kapitel gelegt. Es werden auch noch nicht Erfahrungen berichtet, sondern Erörterungen liber die Weisen der Erfahrungen und über den Sinn der allgemeinen Psychopathologie versucht. Paragraph 1. Abgrenzung der allgemeinen Psychopathologie. a) Psychiatrie als praktischer Beruf und Psychopathologie als Wissen schaft. Im praktischen psychiatrischen Berufe handelt es sich immer um den einzelnen ganzen Menschen; sei es, daß dieser dem Psychiater zur Obhut, zur Pflege oder zur Heilung anvertraut ist, sei es, daß er vor Gericht, vor anderen Behörden, vor der Geschichtswissenschaft über eine Persönlichkeit ein Gutachten abgibt, sei es, daß ihn der Kranke in der Sprechstunde um Rat fragt. Während seine Arbeit es hier ganz mit einem individuellen Fall zu tun hat, sucht der Psychiater, um den in solchen Einzelfällen an ihn herantretenden Forderungen gewachsen zu sein, als Psychopathologe nach allgemeinen Begriffen und Regeln. Ist der Psychiater im praktischen Berufe eine lebendige, erfassende und wirkende Persönlich keit, der die Wissenschaft nur eines ihrer Hilfsmittel ist, so ist dagegen dem Psychopathologen diese Wissenschaft selbst Zweck. Er will nur kennen und erkennen, charakterisieren und analysieren, aber nicht einzelne Menschen, sondern das Allgemeine.